Von Tiago Forte (1) - ins Deutsch übersetzt von Georg Gusewski

The 9 Biggest Myths and Misconceptions about Building a Second Brain


Ein "Second Brain" ist ein vertrauenswürdiges System, das ausserhalb deines Kopfes existiert und dir hilft, deine digitale Welt zu organisieren, deine besten Ideen zu kultivieren und deinen kreativen Output deutlich zu verbessern.

Indem Du dein eigenes Second Brain erstellst, kannst Du die Zeit, die Du mit Lesen, Hören, Sehen und Kommunizieren verbringst, nutzen, um ein wertvolles Hilfsmittel zu schaffen, das mit der Zeit wächst und sich verbindet.

Dies sind die häufigsten Mythen und Missverständnisse über diesen Prozess, die ich, Tiago Forte, beim Vermitteln der Methode von mehr als 3.000 Menschen in meinem Online-Kurs "Building a Second Brain" festgestellt habe. (2)

1. "Ich habe noch kein Second Brain gebaut"

Ein Second Brain ist keine Sache, die man entweder hat oder nicht hat - wie das neueste iPad oder einen Hochschulabschluss. Es ist nicht etwas, das man auf einen Schlag erwirbt und installiert wie ein Küchengerät.

Eine bessere Analogie könnte dein persönliches Finanzsystem sein - eine verteilte Sammlung von Konten, Abhebungen, Einzahlungen, Zahlungen, Institutionen, Dokumenten und sogar Menschen wie dein Buchhalter oder CPA (Wirtschaftsprüfer (Wikipedia) Anm. des Übersetzers). Wir alle haben ein solches System zur Verwaltung unserer persönlichen Finanzen. Du bist vielleicht nicht glücklich damit, aber Du hast eines.

In deinem persönlichen Finanzsystem gibt es bestimmte Aktivitäten, die immer stattfinden, z. B. verdienen, ausgeben, sparen und investieren. Diese Aktivitäten nehmen zu verschiedenen Zeiten unterschiedliche Formen an. Möglicherweise widmest Du einigen von ihnen zu einem bestimmten Zeitpunkt mehr Geld oder Aufmerksamkeit als anderen. Aber die Leistung deines persönlichen Finanzsystems hängt davon ab, wie gut diese vier Funktionen darin ausgeführt werden können.

Genauso ist dein Second Brain ein System für dein persönliches Wissensmanagement (ein Bereich, der als PWM bekannt ist). Es ist ein verteiltes System, das sich aus Apps, Geräten, Websites, Social-Media-Plattformen, Cloud- und Speicherlaufwerken, Organisationen und Menschen wie deinen Freunden oder Mitarbeitern zusammensetzt. Du kannst nicht auf ein einzelnes Element zeigen und sagen: "Das ist mein Second Brain." Selbst die Notizen-App, die Du verwendest, ist nur ein Element.

Wenn mir also Leute sagen: "Ich habe noch kein Second Brain aufgebaut", macht das keinen Sinn. Irgendwo in ihrem Leben, in irgendeiner Form, finden die ganze Zeit bestimmte Aktivitäten statt, die es dir ermöglichen, Informationen sinnvoll zu verarbeiten. Du bist ständig dabei, Informationen zu erfassen, zu organisieren, zu synthetisieren und auf viele verschiedene Arten auszudrücken.

In der heutigen Welt haben wir alle ein Second Brain – Wege, wie wir den Strudel von Informationen um uns herum verarbeiten und interpretieren. Dieses System wird immer da sein, so wie Du auch nicht aufhörst, Rechnungen zu bekommen, wenn Du deine Post nicht öffnest. Sobald Du dir diesem System bewusst wirst, kannst Du anfangen ein System aufzubauen. Und dieses System wird wesentlich sein, um die Karriere, das Geschäft und das Leben zu erreichen, dass Du dir wünschst.

2. "Ein Second Brain bedeutet, mein gesamtes digitales Leben mühsam zu überholen und umzustrukturieren"

Einige Menschen stellen sich ein Second Brain wie ein präzise konstruiertes Stück Technik vor, wie einen Automotor, bei dem jede Komponente eine entscheidende Rolle spielt. Fehlt ein Teil, springt das Auto nicht mehr an – oder explodiert vor deinen Augen.

Wir können nicht weiter von der Wahrheit entfernt sein. Ein Second Brain ist anpassungsfähig, wie ein lebender Organismus – chaotisch, organisch und höchst anpassungsfähig. Genau wie dein erstes Gehirn hat dein Second Brain eine natürliche "Plastizität", mit vielen Möglichkeiten, eine bestimmte Aufgabe zu erledigen. Wenn ein Teil deines Systems fehlt, kann sich ein anderer Teil anpassen und weiterentwickeln, um dies auszugleichen.

In den vier Schritten meines CODE-Frameworks – Capture, Organize, Distill, Express (3) – macht jede kleine Verbesserung sofort einen Unterschied, egal ob die anderen Teile des Systems bereits vorhanden sind oder nicht. Du musst nicht warten, bis alle Teile perfekt aufeinander abgestimmt sind, um einen Nutzen zu erzielen.

Wenn Du zum Beispiel anfängst, deine Gedanken und Ideen in Form von Notizen festzuhalten, wirst Du sofort bemerken, dass Du entspannter wirst, weil Du nicht mehr alles in deinem Kopf mit dir herumträgst... Selbst wenn Du nie etwas mit diesen Notizen machst.

Wenn Du dich ausschliesslich auf das Organisieren konzentrierst, wirst Du deine Fähigkeit verbessern, die Informationen zu finden, die Du bereits hast, selbst wenn Du sie am Ende mit niemandem teilst.

Und wenn Du lediglich deinen Synthetisierungsprozess verbesserst, wirst Du in deinen E-Mails und Gesprächen besser auf den Punkt kommen – selbst wenn Du die anderen Teile von CODE gar nicht verwendest.

Dein Second Brain ist weniger zerbrechlich als Du denkst. Selbst wenn Du nicht jeden Aspekt davon mit mechanischer Sorgfalt perfekt pflegst, wird es immer noch als Aufbewahrungsort für deine besten Ideen und Inspirationen da sein. Und die Bemühungen, die Du machst, werden sich unmittelbar bemerkbar machen.

3. "Ein Second Brain ist nur ein Haufen zufälliger 'Life Hacks' für die Wissensarbeit"

Ein Second Brain erfordert zwar nicht, dass Du jeden Aspekt perfekt koordinierst, um Nutzen zu schaffen. Aber bedeutet dies nun, dass es nichts weiter ist als eine zufällige Sammlung unzusammenhängender "Tipps und Tricks"?

Anders als bei einer Auflistung der 10 besten Produktivitätstipps, wird beim bewussten Aufbau eines Second Brain jede Technik und jedes Werkzeug mit einander vernetzt und erweitert. Auf diese Weise hast Du, wenn Du sie zusammen anwendest, ein System, das grösser ist als die Summe seiner Teile.

Zum Beispiel ist es viel einfacher:

  • deine Notizen mit der PARA-Methode zu organisieren, wenn Du bereits selektiv ausgewählt hast, was du überhaupt erfassen möchtest
  • Notizen schrittweise, synthetisierend zu verdichten und zusammenzufassen, wenn sie bereits als Teil eines "Projekts" gekennzeichnet wurden
  • Teile deiner Arbeit "just-in-time" Zusammenzustellen, wenn sie bereits auf ihre wichtigsten Punkte reduziert wurden.

Jeder Schritt des CODE-Prozesses fliesst in den nächsten ein. Wenn Du dich hinsetzt, um etwas Neues zu erstellen, ist der grösste Teil deiner Arbeit bereits erledigt. Du verfeinerst dein Denken bereits auf natürliche Weise in den kleinen Zwischenschritten deiner Arbeit und wenn es an der Zeit ist, etwas Neues zusammenzubringen, musst Du nur noch die Zwischenschritte zusammenbringen.

Es gibt zwar ein riesiges Universum an Produktivitäts- und Notiz-Tipps da draussen, aber Du musst nicht alle diese Möglichkeiten lernen. Lerne einfach die wichtigsten Grundlagen, um eine unfertige Idee durch den kreativen Prozess zu bringen, so dass sie eine Auswirkung auf die Welt ausserhalb deines Kopfes haben können... alles dank des Second Brain Systems, das Du auch "ausserhalb deines Kopfes" aufgebaut hast.

4. "Der Aufbau eines Second Brains ist nur Selbsthilfe für Notizen-Nerds"

Ein bisschen hart, aber... oberflächlich betrachtet, schuldig im Sinne der Anklage. Bei der Selbstverbesserung geht es darum, Wege zu finden, um effektiver zu werden und mit weniger mehr zu erreichen – und ein Second Brain hilft dir definitiv bei diesem Vorhaben.

Aber was wäre, wenn Du, anstatt zu versuchen, dich selbst zu optimieren – dich zu zwingen, schlauer, schneller oder disziplinierter zu werden –, daran arbeiten würdest, ein externes System zu optimieren, damit es dir Ergebnisse ermöglicht, egal wie motiviert Du dich fühlst?

Je leistungsfähiger die Technologie wird, desto weniger Sinn macht es, zu versuchen, allein durch eigene Anstrengung erfolgreich zu sein. Es ist, als würde man versuchen, mit blossen Händen einen Graben auszuheben, wenn eine Schaufel in der Nähe steht. Oder besser gesagt, ein riesiger Bagger.

In gewisser Weise ist der Aufbau eines Second Brain also das Gegenteil von Selbstverbesserung. Es geht darum, so viel Denken und Erinnern wie möglich an die intelligente Technik auszulagern, von der wir bereits umgeben sind, damit wir unsere Zeit damit verbringen können, über das nachzudenken, worauf wir gerade Lust haben. Wir befreien uns von den nicht enden wollenden Details, die unseren Verstand verstopfen, und gewinnen Zeit, um ein spannenderes Ziel zu verfolgen.

Letztendlich streben wir eine bessere Welt an – eine Welt mit innovativeren Produkten, kreativeren Inhalten, wirkungsvolleren Programmen und effektiveren Organisationen. Wenn wir uns selbst als Engpass überwinden können und externen Systemen erlauben, in unserem Namen zu arbeiten, werden wir wesentlich effizienter sein, ohne die Fähigkeiten unseres Verstandes zu überfordern.

5. "Für ein Second Brain muss ich technische Fähigkeiten haben"

Bis vor Kurzem hättest Du Recht gehabt: Wissensmanagement ist historisch gesehen eine sehr technische Angelegenheit.

In der Vergangenheit musste man ein ausgebildeter Software-Ingenieur, Datenwissenschaftler oder Bibliothekar sein, wenn man grosse Mengen an Informationen verwalten oder sinnvoll nutzen wollte. Persönliches Wissensmanagement (PWM) erforderte besondere Fähigkeiten, Kenntnisse der komplexen Syntax und eine technische Gratwanderung, um das Risiko zu vermeiden, Datenbankeinträge für andere zu vermasseln.

Technologie macht den grössten Unterschied, wenn sie aufhört, ein Spezialwerkzeug zu sein, und die Kluft überquert, um für die Welt der Generalisten zugänglich zu werden. Die Kategorie der Software, die als "Tools for Thought" bekannt ist, befindet sich derzeit mitten in diesem Übergang. Die Technologie ist endlich zugänglich, benutzerfreundlich und erschwinglich genug geworden, dass wir die Verantwortung für das Wissensmanagement in unserem eigenen Leben übernehmen können.

Genau wie dein biologisches Gehirn ist ein Second Brain nicht auf eine bestimmte Art von Daten oder einen bestimmten Beruf spezialisiert: Es ist eine Allzweckintelligenz. Ein Second Brain kann jede Art von Information verarbeiten, für jeden Zweck, um jede Art von Ergebnis zu erzeugen. Es kann genauso gut von einem Wissenschaftler, Lehrer, Ingenieur, Designer oder Unternehmer genutzt werden. Es kann sich an jede Situation anpassen, in der wir uns befinden.

Dank der leichter zugänglichen, vereinfachten Technik kann dein Second Brain all die Dinge integrieren, für die Du früher verschiedene Systeme für verschiedene Bereiche deines Lebens benötigt hast. Früher brauchtest Du ein eigenes System für Arbeitsprojekte, ein anderes für persönliche Angelegenheiten, eines für die Verwaltung des Haushalts und ein weiteres für Notizen zu gelesenen Büchern – heute kann dein Second Brain diese Ströme in einem einzigen Prozess bündeln. Es ist wie ein Trichter, um vielfältigste Informationsquellen auf einen Zweck hin zu bündeln: in der realen Welt etwas zu bewirken.

6. "Es gibt einen 'richtigen Weg', ein Second Brain aufzubauen"

Es gibt so viele Wege, ein Second Brain aufzubauen, wie es Menschen gibt, die es aufbauen.

Es macht keinen Sinn, ein System zu implementieren, das so kompliziert ist, dass Du es nie zu einem Teil deiner Routine machst. Das "richtige" System ist das, bei dem man bleibt und das so einfach zu benutzen ist, dass es einfacher ist, es zu benutzen als es nicht zu benutzen.

Jeder Kreativprofi muss für sich selbst entscheiden, was sein Second Brain ist und wie es funktionieren soll. Du kannst nicht die exakten Morgenroutinen und kreativen Gewohnheiten von jemand anderem kopieren und dann erwarten, dass Du die gleichen Ergebnisse erzielst. Deine Gewohnheiten sind einzigartig für dich und die einzigartige Beschaffenheit deines Denkens.

Manche Menschen bevorzugen formale PWM-Ansätze, mit Checklisten, Vorlagen und strengen Regeln. Andere bevorzugen offenere und freiere, lassen Improvisation und verschlungene Pfade zu. Es ist ein Spektrum: Deine Aufgabe ist es, den Punkt auf diesem Spektrum zu finden, an dem Du dich am wohlsten und fähigsten fühlst.

Aus diesem Grund ist es wichtig, viele Modelle, Beispiele und Fallstudien von Second Brains verschiedener Menschen zu erfahren. Beobachte Experten aus deinem Bereich, aus anderen Bereichen, aus unserer Zeit und aus der Vergangenheit. Es gibt nicht die eine Art, wie es aussehen muss, sondern eine Vielzahl von Optionen und Möglichkeiten, aus denen Du wählen kannst.

7. "Wenn ich ein Second Brain einrichte, wird es meine Kreativität töten"

Wenn Du sehr kreativ bist, verspürst Du vielleicht einen starken inneren Widerstand gegen allzu reglementierende Methoden und Techniken. Du willst nicht, dass die Inspiration, die durch deinen Geist fliesst, in diesem kostbaren Moment des Flows erstickt wird.

Es ist wichtig, die Kraft deiner kreativen Vorstellungskraft zu erschliessen. Aber für die meisten Menschen ist der grosse Begrenzer in ihrem Leben nicht ein Mangel an Vorstellungskraft. Sie haben viele Ideen, wie die Zukunft anders sein könnte. Ihre Einschränkung ist die Fähigkeit, diese Ideen in die Realität umzusetzen. Zu viele unserer besten Ideen bleiben auf der Strecke, ohne jemals auch nur einen Bruchteil ihres Potenzials entfaltet zu haben.

Paradoxerweise hängt die Kreativität von der Routine ab. Wenn Du das Leben von erfolgreichen Künstlern, Musikern, Komikern oder Schriftstellern untersuchst, hängen sie alle vollständig von der Beständigkeit ihrer Gewohnheiten ab. Sie warten nicht darauf, dass die Inspiration zuschlägt, sondern stehen auf und gehen zur Arbeit, wie jeder andere Berufstätige auch.

Morgengewohnheiten, Bewegungsgewohnheiten, Gewohnheiten zum Führen von Tagebüchern, Lesegewohnheiten, Schreibgewohnheiten, Gewohnheiten zum Notieren – wenn Kreativschaffende diese Gewohnheiten so weit praktizieren, dass sie automatisch werden, setzen sie Aufmerksamkeit frei, um sicherzustellen, dass sie, wenn die Inspiration da ist, alle Möglichkeiten haben, neuen Ideen nachzugehen.

Aber wie können wir Systeme und Gewohnheiten in einer höchst unvorhersehbaren Umgebung schaffen, in der jeder Tag oder jede Woche völlig anders aussehen könnte als die letzte?

Ich habe einen Grossteil meines eigenen Second Brain in meinen 20ern entwickelt, während ich in verschiedenen Ländern reiste und lebte. Von den Favelas in Rio de Janeiro über die kolumbianische Küste bis hin zu den Weiten der Ostukraine änderte sich alles an meiner Umgebung und meinen Routinen dramatisch.

Aber eine Sache ist gleichgeblieben: meine digitale Welt. Über verschiedene Städte, Länder und Jobs hinweg, folgten mir die in der Cloud gespeicherten Inhalte. Trotz der Hektik meines sich ständig verändernden Lebens, gab es eine Ebene der Realität, auf die ich mich verlassen konnte: die virtuelle Realität, auf die ich überall zugreifen konnte.

Dank dieser Realität war ich in der Lage, einen Reiseblog zu starten, um Geschichten über meine Abenteuer im Ausland zu teilen. Ich veröffentlichte mein erstes E-Book, um Geld für ein Jugend-Leadership-Programm zu sammeln, und half Dutzenden von jungen Ukrainern, das College zu beenden und Führungspositionen in prominenten Unternehmen und gemeinnützigen Organisationen zu übernehmen. Zu sehen, wie eine Vision in meinem Kopf in die Welt hinausgeht und einen direkten Einfluss auf das Leben von Menschen hat, hat mein Leben für immer verändert.

Wahre Kreativität besteht darin, sich nicht nur interessante Zukunftsperspektiven vorzustellen, sondern sie durch konsequente Praxis zum Leben zu erwecken. Das ist die Art von Kreativität, von der ich mehr in der Welt sehen möchte. Und dabei kommt es auf einen bewährten Prozess an, um dein Wissen in die Realität umzusetzen.

8. "Second Brains sind für Leute, die nicht draussen in der Welt sind und die harte Arbeit machen"

Dies ist wahrscheinlich der grösste Problem der bestehenden Ansätze zum Wissensmanagement: Sie sind hoffnungslos akademisch und haben keine Chance, sobald man "Kontakt mit der Realität" aufnimmt.

Die meisten Informationsmanagement-Techniken beginnen mit Theorie und akademischer Forschung. Sie entwickeln Modelle, wie Information (in der Theorie) funktionieren könnte, und arbeiten dann rückwärts, um zu bestimmen, welche Praktiken im täglichen Leben funktionieren könnten.

Als ich diesen fehlerhaften Ansatz immer wieder sah, stellte ich sicher, dass ich das Gegenteil tat: Ich begann damit, Hochleistungsträger bei der Arbeit an realen Herausforderungen genau zu beobachten. Ich untersuchte, wie sie lesen, zuhören, Notizen machen und ihre Prioritäten unter Druck organisieren. Vor allem aber suchte ich nach den Abkürzungen, die Menschen nehmen, wenn sie tief im Sumpf stecken, da diese am Ende oft die innovativsten Lösungen hervorbringen.

Wir brauchen Theorien und Forschung. Sie ermöglichen es uns, neue Aspekte des Informationsmanagements zu entdecken, die wir noch nicht kennen. Aber ich stelle fest, dass jedes Mal, wenn ich mit einem Rahmenwerk im Kopf anfange und dann versuche, eine darauf basierende Technik zu erfinden, diese Technik am Ende zu kompliziert für die praktische Arbeit wird und scheitert. Stattdessen beobachte ich, was die Leute bereits tun, das funktioniert, und helfe ihnen, diese Techniken zu verbessern.

Die grossen Methoden werden in den Wirren der modernen Arbeit geboren. Und sie sind rücksichtslos praktisch, weil für alles andere keine Zeit bleibt.

9. "Die Aufrechterhaltung eines Second Brain zwingt mich, den ganzen Tag vor dem Computer zu sitzen"

Wir verbringen mittlerweile über 11 Stunden pro Tag mit dem Konsum von Medien auf unseren elektronischen Geräten.

Viele Internet-Fachleute scheinen zu glauben, dass dies auf eine Krise hindeutet. Sie predigen das Evangelium der "digitalen Abstinenz" und versuchen uns davon zu überzeugen, dass die Allgegenwart der Technologie etwas Schlechtes ist.

Die Realität sieht folgendermassen aus: Wir können wählen, wie wir unsere Zeit mit unseren Geräten verbringen. Wir können entscheiden, wer wir sind, wenn wir online gehen. Technologie ist neutral - sie erweitert, wer wir bereits sind und was wir bereits tun. Und es ist nicht realistisch, so zu tun, als würden wir alle Technik meiden und uns aus dem Internet zurückziehen. Es ist hier, um zu bleiben.

Damit einher geht aber auch die Verantwortung, unsere Online-Zeit bewusst zu verbringen. Wir können uns dafür entscheiden, unsere Aufmerksamkeit auf das Dringende, Spektakuläre und Oberflächliche zu richten. Oder wir können unsere digitale Umgebung so gestalten, dass wir lernen, experimentieren, zusammenarbeiten und Dinge erschaffen.

Das Internet kann eine Quelle endloser Ablenkung sein, oder eine Quelle endloser Weisheit. Es gibt uns Zugang zum Schlimmsten der Menschheit und zum Besten der Menschheit: erstaunliche Kunst, bewegende Unterhaltung, aufschlussreiche Schriften, subtile Lehren und Freundschaften, die sich sonst nie gebildet hätten.

CODE gibt uns eine Reihe von Gewohnheiten, wie wir mit Informationen umgehen, online und offline. Es ermutigt uns, die besten Ideen zu erfassen, die uns begegnen, diese Ideen um die Projekte und Ziele zu organisieren, die uns wichtig sind, und die Ideen zu verdichten, die wir bereits haben, anstatt endlos mehr zu sammeln.

All diese Schritte sind eine Vorbereitung auf die schwierigste, aber auch wertvollste Aktion, die Du in der vernetzten Welt, in der wir leben, unternehmen kannst: vom Computer wegzutreten und deine Botschaft mit der Welt zu teilen.

Wenn Du den Wechsel vom Konsumenten zum Schöpfer vollziehst, ändert sich deine gesamte Haltung gegenüber der Welt. Deine Ansprüche an die Informationen, die Du in deinen Geist einfliessen lässt, schnellen in die Höhe, denn Du willst das Beste, um das Beste produzieren zu können.

Die überwältigende Komplexität und Ungewissheit von allem, was Du möglicherweise tun könntest, wird zu einer ruhigen Gelassenheit für die konkrete Sache, an der Du tatsächlich arbeitest.

Und wenn Du das einmal erfahren hast, kannst Du dich kraftvoll in der Welt bewegen und einen Unterschied in deinem eigenen Leben und dem Leben anderer machen.


(1) Der original Artikel erschien am 27.4.2021: The 9 Biggest Myths and Misconceptions about Building a Second Brain

(2) Diese 9 Mythen können in der zweiten Staffel des Building a Second Brain Podcasts (englisch) angehört werden.

(3) Anm. des Übersetzers: In meinem Artikel "Meine Erfahrung mit «Building a Second Brain» #2" habe ich das CODE-Framework mit Sammeln, Organisieren, Synthetisieren, Ausdrücken (S.O.S.A) übersetzt.